Primär chronisch progrediente Multiple Sklerose (PPMS): Silberstreifen am Horizont?
- Dr. med. Guido Schwegler
- 13. Dez. 2016
- 2 Min. Lesezeit
Gerade neulich hatte ich Kontakt mit einer Pharmafirma wegen des neuen MS-Medikamentes Ocrelizumab. Es wird voraussichtlich unter dem Namen Ocrevus® 2017 in den Handel kommen. Man erwartet, dass im Dezember 2016 als erste Zulassungsbehörde weltweit die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA den Entscheid bekanntgeben wird, ob Ocrevus® zur Behandlung der MS zugelassen wird.
Die Resultate der Studien bei schubförmiger MS (OPERA I und II) sind hervorragend, die Wirksamkeit gar auf Augenhöhe mit Tysabri. Und dies zu einem - Stand jetzt – wesentlich geringerem Risiko ernsthafter Komplikationen. Doch wie steht es mit diesem Wirkstoff bei der 2. Form der Multiplen Sklerose, der PPMS (Primär chron. progrediente MS)? Diese Form der MS verläuft von Natur aus schlechter, und kann auch bislang auch nicht wirksam behandelt werden, zumindest nicht der zugrundeliegende Immunprozess. Während man bei der schubförmigen MS (RRMS) heute als Therapieziel eine komplette Stabilität formuliert, und dieses Ziel auch oft erreicht, wirkt bei der PPMS bislang gar nichts,- nicht mal im Ansatz. Oder doch? Gibt es Hoffnung mit Ocrelizumab (Ocrevus®)? Die Wirksamkeit von Ocrelizumab bei der Primär chronisch progredienten MS (PPMS) wurde in einer grossen Studie untersucht, an der im Zeitraum von 2011-2017 630 Patienten teilgenommen haben. Der Name der Studie lautet ORATORIO, ein einprägsames Apronym in Anlehnung an das musikalische Gebet der klassischen Musik (Oratorium). Das Gebet scheint angekommen zu sein: In dieser ORATORIO Studie konnte das Hauptstudienziel erreicht werden: Signifikant weniger Patienten mit PPMS haben sich über die Studiendauer von 120 Wochen neurologisch verschlechtert. Dieses Resultat war so überraschend, dass man als MS-Experte bei der Kommunikation der Ergebnisse im Frühjahr 2016 auch sehr skeptisch war. Bislang sind ja alle anderen Studien mit ähnlichen Substanzen, die die entzündlichen Veränderungen der MS als Hauptangriffsziel hatten, bei der schleichenden Form der MS (PPMS) komplett fehlgeschlagen. Letztmals scheiterte eine grosse Studie mit Fingolimod (Gilenya®) bei der PPMS (INFORMS®).
Wie erklärt man sich die guten Studienresultate trotz - etwas salopp gesprochen- lediglich Aussenseiterchancen?- Man vermutete, dass die ORATORIO Studie wegen der vielen Patienten mit einer Mischform zwischen der schubförmigen und der chronischen MS positiv geworden ist. Das heisst möglicherweise profitiert nur eine Minderheit der Patienten mit der PPMS von diesem Medikament. Ein sehr hoher Anteil an Patienten (27%) hatte zu Beginn der Studie im Schädel-MRI florid entzündliche Plaques im Hirn. War es diese kleine Gruppe (27%) von Patienten die mit Ocrelizumab so gut abgeschnitten haben, dass sie das ganze Studienresultat ins Positive gedreht hat? Hat die andere Gruppe (73%) ohne floride Plaques gar nicht von Ocrelizumab profitiert? Wir werden es sehen, die Studienresultate sind leider noch nicht publiziert. Unter vorgehaltener Hand spricht man aber davon, dass beide Gruppen profitiert haben, diejenige mit aktiven Läsionen einfach mehr als die andere. Die Geschichte bleibt spannend und sehr aktuell. Erste Entscheide Richtung Zulassung werden demnächst erwartet.
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